Die Zeiten der Lockdowns haben deutlich gezeigt, dass Reisen für viele Menschen ein Grundbedürfnis ist, auf das sie nicht verzichten wollen. Dieses Bedürfnis bestätigt auch die aktuelle ADAC-Tourismusstudie*. Aber Lockdown, Kontaktverbote und Reisebeschränkungen konnten die Reiselust der Deutschen nur kurz bremsen, stattdessen könnte das deutsche Hotel- und Gastronomiegewerbe langfristig von der Pandemie profitieren: 32 Prozent der Befragten haben Deutschland als Urlaubsort schätzen gelernt und planen künftig öfter Urlaub im eigenen Land.
Mobilität als große Stellschraube zum klimafreundlicheren Tourismus
Reisen in Deutschland bedeutet aber auch, dass viele Ein- und Mehrtagestouristen mit dem Auto in ihre Zielregion fahren. Obwohl das Flugzeug weniger genutzt wird und die Bahn an Beliebtheit gewinnt, wählt jeder Zweite das Auto als präferiertes Verkehrsmittel für die Anreise. Kein Wunder, dass touristische Verkehre für drei Viertel der durch den Tourismus induzierten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Der aktuelle Monitoringbericht der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. (FUR)** verzeichnet allerdings einen Höchstwert beim Wunsch nach umwelt- und sozialverträglichen Reisen. Wunsch und Wirklichkeit gehen deutlich auseinander. Aber was hindert uns daran, das Auto stehen zu lassen und klimafreundlicher in den Urlaub zu fahren?
“Alle Urlaubsregionen in Deutschland sind umweltfreundlich mit der Bahn erreichbar. Entweder mit dem Fernverkehr direkt oder mit Umstieg in den Nahverkehr. Allerdings entscheiden sich Gäste oft nur dann für eine Anreise mit der Bahn, wenn sie das Gefühl haben, dass sie vor Ort eine gute Mobilität mit dem ÖV erwartet”, fasst es Kathrin Bürglen zusammen, Leiterin von Fahrtziel Natur, einer Kooperation der drei großen Umweltverbände BUND, NABU, VCD und der Deutschen Bahn. Alle Partner arbeiten kontinuierlich daran, die Reisekette mit Verkehrsmitteln des Umweltverbundes für die Gäste in hoher Qualität auszubauen, damit Urlauber die Natur nicht mit dem eigenen Pkw, sondern mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln erkunden können. Das ist besonders einfach, wenn die Gästekarte als ÖPNV-Ticket genutzt werden kann. 17 der insgesamt 24 Fahrtziel Natur-Regionen bieten ihren Gästen bereits diesen Service an.
„Ein gut getaktetes Bus- und Regionalbahnangebot sollte die Grundlage bilden. Ergänzende Angebote können dazu beitragen, dass alle Ausflüge in der Urlaubsregion einfach realisierbar sind. Das können zum Beispiel On-Demand-Verkehre oder Leihfahrräder sein. Wenn dazu noch Apps die Informationen zu Ausflugszielen mit ÖV-Daten verbinden, wird der Urlaub mit Bahn und Bus wirklich ganz einfach.“
– Kathrin Bürglen, Leiterin Fahrtziel Natur
Tourismusorganisationen, Kommunen und beteiligte Verkehrsunternehmen stehen für eine nachhaltigere Tourismusmobilität vor Ort vor der Herausforderung, dass der ÖPNV in vielen Fällen ausschließlich auf Schüler- oder Pendlerverkehre ausgerichtet ist. Zusätzlich erschweren Landkreisgrenzen in zusammenhängenden Tourismusregionen und eine fehlende Finanzierung eine unkomplizierte, komfortable und flexible Urlaubsmobilität und Reisekette.
Umwelt- und klimafreundliche Mobilität am Urlaubsort
Aber es gibt auch viele positive Beispiele, wie umwelt- und klimafreundliche Mobilität und Tourismus gemeinsam umgesetzt werden können, damit Urlaubende und die örtliche Bevölkerung gleichermaßen davon profitieren.
Ein sehr erfolgreiches Beispiel ist EMMI-MOBIL im bayerischen Bad Hindelang. In den Allgäuer Hochalpen ist der Schutz der einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft ein wesentlicher Aspekt der lokalspezifischen Identität. Der On-Demand-Verkehr in der Gemeinde ergänzt das bestehende ÖPNV-Angebot in der Region und bringt Reisende ohne festen Fahrplan oder Route zum nächsten Busanschluss oder auch direkt ans Reiseziel. Ob kostenfrei mit der Gästekarte “Allgäu Walser Card” oder mit einem vergünstigten ÖPNV-Ticket. Das Angebot ist Teil der Tourismusstrategie der Marktgemeinde und des nachhaltigen Lebensraumkonzepts „Unser Bad Hindelang 2030“. Nicht verwunderlich, dass das Projekt mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem 3. Platz beim Deutschen Tourismuspreis im Jahr 2022.
Ähnlich eingebettet in die lokale Identität ist der seit März 2023 fahrende On-Demand-Verkehr Friedrich in Greifswald. Drei Fahrzeuge, die sogenannten Kutschen, ergänzen das bestehende ÖPNV-Angebot in den Stadtteilen Friedrichshagen, Wieck/Ladebow, Stadtrandsiedlung, Groß Schönwalde und befristet auch im Ostseeviertel Parkseite und abends auch im gesamten Stadtgebiet. Die Kleinbusse mit Möglichkeit zur Rollstuhl- und Fahrradmitnahme binden Stadtrandlagen besser an und fahren zu wichtigen Sehenswürdigkeiten – eine echte Pkw-Alternative für Gäste und Einheimische.
Ein zeitlich begrenztes touristisches Mobilitätsangebot ist hingegen das Angebot von Bus alpin in der Schweiz. Die saisonalen Verkehre des Vereins Bus alpin und verschiedenen nationalen Trägern binden beliebte Ausflugsziele an den ÖPNV an, die bisher nur mit dem privaten Pkw erreichbar waren. Das stärkt die touristische Attraktivität und einen naturnahen Tourismus in den Mitgliedsregionen. Das Ziel ist es, einen Umsteigeeffekt vom Auto auf den Öffentlichen Verkehr zu erreichen. Das kommt an: Ab der Sommersaison 2023 sollen Fahrten in weiteren Schweizer Regionen buchbar werden.
On-Demand-Verkehre können solch ergänzende Angebote sein, um eine geschlossene touristische Reisekette herzustellen. Aber auch eine flexible und komfortable Mobilität am Zielort kann durch Verkehre auf Abruf gewährleistet werden. Sie ergänzen somit nicht nur die erste Meile von der Haustüre bis zum Fernverkehrsbahnhof und die letzte Meile vom Zielbahnhof bis zur Herberge, sondern schaffen auch eine bessere Mobilität im Urlaubsort selbst.
On-Demand-Verkehre: attraktiv für Reisende und Betreiber
Flexible Mobilitätsangebote können die erste und letzte Meile am Urlaubsort erfolgreich schließen und das lokale Mobilitätsangebot optimieren, um den Öffentlichen Personenverkehr für Reisende und Anwohner gleichermaßen attraktiv machen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Angebote, wie der Schweizer Verkehr, saisonal anpassbar sind und für die Urlaubssaison über den Alltagsverkehr hinaus erweitert werden können. Das gibt nicht nur Reisenden, sondern auch lokalen Betreibern die nötige Flexibilität. Solche Mobilitätsangebote sind die Zukunft des bedarfsgerechten touristischen Reisens und erfüllen den Wunsch vieler Reisender, umweltfreundlicher und flexibler an ihr Ziel zu gelangen.
*ADAC Tourismusstudie: Reiseverhalten im Wandel (2023): https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien/mobilitaets-trends/tourismusstudie-reisen-corona/
**Dirk Schmücker, Nadine Yarar, Ulf Sonntag und Wolfgang Günther: Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen: Bewusstseins- und Nachfrageentwicklung und ihre Einflussfaktoren (2023) http://reiseanalyse.de/wp-content/uploads/2023/01/UBA_Nachhaltigkeit_bei_Urlaubsreisen_Bericht2022-1.pdf