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29. Mrz 2023
/ Germany
Autonome Fahrzeuge: Zeitenwende im europäischen Nahverkehr
Autonome Mobilität ist keine Utopie mehr, sondern heute schon Realität und Schlüsseltechnologie. Weltweit und insbesondere in Europa wird an autonomer Mobilität geforscht und getestet – hierdurch bieten sich große Potentiale zur Verbesserung der individuellen Mobilität durch immer effizientere Angebote und zusätzlich die Möglichkeit den Individualverkehr zu reduzieren.

Wenn sich autonome Fahrzeuge Algorithmen gesteuert und emissionsfrei auf den effizientesten Routen bewegen, werden private Pkw gegenüber einem autonomen und digitalen Nahverkehr immer unattraktiver. Die Nutzerinnen und Nutzer profitieren durch den Einsatz solcher innovativen Konzepte im Nahverkehr von einem flexibleren Angebot nach ihren Wünschen und kürzeren Wartezeiten. Darüber hinaus könnten autonome Fahrzeuge mit emissionsfreien Antriebsmethoden dazu beitragen, die Luftqualität zu verbessern und das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Letzteres funktioniert jedoch nur, wenn die Fahrzeuge gemeinschaftlich genutzt werden. Die autonome Mobilität bietet also verschiedene Hebel für den Klimaschutz.

“Selbstfahrende E-Shuttles, die auf Bedarf gerufen werden können, sind darum insbesondere für den ländlichen Raum ein echter Gamechanger. Und das Beste: Das ist keine Science-Fiction, sondern bereits ab dem kommendem Jahr Teil des regulären ÖPNV-Angebots in unserem Land.” 

Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr*

Status quo – Rechtliche Rahmenbedingungen in Europa 

Allerdings gibt es auch eine Reihe regulatorischer und rechtlicher Herausforderungen, die bei der Einführung autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr zu beachten sind. Hier ist die Gewährleistung von Sicherheit ein zentraler Aspekt. Die strengen Sicherheitsstandards, die auf europäischen Straßen und insbesondere im deutschen ÖPNV gelten, müssen eingehalten werden. Dazu gehören zum Beispiel die Überwachung der Fahrzeugsysteme und die Integration von Notfallplänen. Interessant ist dabei, dass die Bürgerinnen und Bürger neuen automatisierten Mobilitätsformen meist offen gegenüberstehen. So zeigt eine Befragung von Bitkom, dass rund zwei Drittel der Befragten autonome Busse nutzen würden2. Europa und insbesondere Deutschland nehmen weltweit eine Vorreiterrolle bei der Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens für das autonome Fahren ein.

Während die Stufen 1 und 2 des autonomen Fahrens bereits durch Assistenzsysteme in Fahrzeugen abgebildet werden und in allen europäischen Ländern zugelassen sind, unterscheiden sich viele europäische Länder in ihren Regelungen für die Stufen 3 und 4. Level 4 bietet hier besondere Anforderungen in der sicherheitstechnischen Ausgestaltung. Es muss kein Sicherheitsfahrer mehr unmittelbar innerhalb oder außerhalb des Fahrzeuges anwesend sein, da das Fahrzeug bei als kritisch identifizierten Situationen über eine Schaltzentrale gesteuert wird.

Im Folgenden finden Sie eine Auswahl des Status Quo der Regelungen in den europäischen Ländern:

Deutschland: 

Im vergangenen Jahr hat Deutschland als erstes Land der Welt die Rechtslage für autonomes Fahren ohne Sicherheitsfahrer der Stufe 4 geregelt. Die Regelung ist seit Mai 2022 rechtsverbindlich. Autonome Flotten können im Regelbetrieb ab 2023 eingesetzt werden – nach einer Übergangsfrist ist ein autonomer Betrieb mit Fernsteuerung möglich. Mit Modellregionen und Reallaboren fördert das Bundesministerium für Verkehr und Digitales zudem den Ausbau vollständig neuer, digitalisierter und vernetzter Mobilitätssysteme. Bis 2030 sollen allein in der Hansestadt Hamburg bis zu 10.000 autonome Shuttles eingesetzt werden, im Rhein-Main-Gebiet werden in den nächsten 12 Monaten die ersten in den ÖPNV integrierten Shuttles erwartet, die in regulärer Geschwindigkeit am Straßenverkehr teilnehmen können. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verzeichnet bereits heute mehr als 40 autonome Shuttle-Bus-Projekte im ÖPNV. Jedoch fahren die meisten von ihnen in geringer Geschwindigkeit, auf festen Strecken und weiterhin mit Sicherheitsfahrer.

Frankreich: 

Frankreich und Deutschland sind im Jahr 2021 die ersten Länder der Welt, die einen Rechtsrahmen für den Einsatz von autonomen Fahrzeugen im Linienverkehr schaffen. Frankreich verfolgt seit 2018 eine nationale Strategie für den Einsatz automatisierter und verknüpfter Mobilität auf der Straße. Seit September 2022 sind autonome Fahrzeuge bis Stufe 4 und ohne Fahrpersonal an Bord im gemischten Verkehr auf öffentlichen Straßen erlaubt – allerdings mit Fernsteuerung.

Großbritannien:  

Derzeit dürfen autonome Fahrzeuge mit Level 3 im öffentlichen Verkehr fahren, allerdings ist weiterhin ein Sicherheitsfahrer erforderlich, der sich innerhalb oder außerhalb des Fahrzeuges aufhalten muss. Bis 2025 sollen außerdem weitere Regularien definiert werden, um auch Level 4 autonome Mobilität mit Fernsteuerung auf britischen Straßen zu ermöglichen. London gilt unter Analysten als einer der Topmärkte in Europa für geteiltes autonomes Fahren.3

In Edinburgh können Fahrgäste sich ab dem Frühjahr über den weltweit ersten selbstfahrenden Bus in voller Größe freuen, nachdem die britische Regierung und die Industrie gemeinsam einen Anteil von 81 Millionen Pfund für die Förderung selbstfahrender Verkehrstechnologien erhalten haben.4

Italien/Spanien: 

In Italien gibt es keine Rechtsvorschriften zum autonomen Fahren oder, genauer gesagt, zu autonomen Fahrzeugen (AV). Autonome Fahrzeuge auf Level 2 dürfen jedoch derzeit im Verkehr eingesetzt werden – eine Regelung zu Level 3 Fahrzeugen könnte möglicherweise im Jahr 2023 folgen. Bisher gelten vor allem Einzelfallregelungen.

Schweiz: 

In der Schweiz ist die Fahrt mit fahrerlosen, vollautomatisierten Fahrzeugen nur dann möglich, wenn die nötigen technischen Nachweis erbracht werden und der internationale Rechtsrahmen erweitert wurde. Fahrzeuge mit Level 4 werden daher derzeit nur auf definierten Strecken oder abgrenzbaren Gebieten zugelassen. Nichtsdestotrotz beteiligt sich die Schweiz an diversen Förderprojekten zum autonomen Fahren auf der europäischen Ebene, z.B. im schweizerischen Kanton Genf, wo ioki für einen vollständig autonomen Pilotverkehr als Teil des EU-Projektes AVENUE die On-Demand-Software lieferte.

What’s next? 

Der Blick in ausgewählte europäische Länder zeigt, dass autonomes Fahren bereits fest in der künftig stark digitalisierten Mobilität verankert ist. Durch die vielfältigen Möglichkeiten von On-Demand Verkehren lassen sich hierdurch weitere Potentiale heben. Die flexibel nutzbare Plattform von ioki ermöglicht beispielsweise, fahrerbasierte und autonome Modi zu kombinieren. Somit können Mischverkehre unterstützt werden, um die Potentiale aus beiden Bedienformen optimal zu ergänzen.
Die Entwicklungen auf der EU-Ebene lassen hoffen, dass mehr europäische Mitgliedsstaaten das Potenzial automatisierter Fahrzeuge als Teil der Mobilitätswende erkennen und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen zeitnah anpassen.

 

*ioki, 2023: https://ioki.com/weltpremiere-autonome-on-demand-fahrzeuge-im-normalen-strassenverkehr/

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Nachgefragt bei Henrik Umnus

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Die kürzlich verkündete Partnerschaft zwischen ioki und Vesputi verspricht Innovationen im Bereich der Mobilitätsdienstleistungen. Fahrgäste können dadurch ihre Fahrkarten nun direkt in den On-Demand-Apps von ioki kaufen. Aber wie sieht das in der Realität eigentlich aus? Wir haben mit Henrik Umnus gesprochen, Geschäftsführer der Verkehrsbetrieb Greifswald GmbH. Vor einem Jahr ging der On-Demand-Service „Friedrich“ in Greifswald auf die Straßen und befördert seither die Fahrgäste ohne festen Fahrplan. Nun haben diese die Möglichkeit, ihre Fahrkarten für den ÖPNV direkt in der On-Demand-App zu buchen. Viel Spaß beim Lesen!

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