Frau Höhl, 2019 wurden Sie von der Allianz pro Schiene für Ihre innovative Idee der Paketzustellung zur Siegerin gekürt. Wie hat sich Ihre Idee seitdem weiterentwickelt?
In dem Forschungsprojekt LastMileTram, in dem wir konzeptionell die Sendungszustellung durch Integration des Straßenbahnnetzes untersucht haben, sind neue Fragestellungen aufgekommen, die wir jetzt glücklicherweise in einem weiteren Forschungsprojekt untersuchen werden. In dem neuen Projekt untersuchen wir jetzt simulationsbasiert die Auswirkung dieser Zustellungsart auf Kosten, Umfeld sowie Umwelt. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit rechtlichen und haftungsrechtlichen Fragestellungen, da der Güterverkehr im Nahverkehr nicht explizit geregelt ist. Der Bundesverkehrsminister hat zudem das allgemeine Konzept, Pakete mit dem ÖPNV zu transportieren unterstützt, so ist sehr viel Fahrt in das Konzept angekommen und wird an verschiedenen Stellen weiterverfolgt, was total erfreulich ist.
Mit Ihrer Idee der Paketzulieferung über die Infrastruktur des ÖPNV geben Sie diesem eine weitere Bedeutungsebene. Könnten Sie sich darüber hinaus noch andere Anknüpfungspunkte vorstellen?
Der urbane Wirtschaftsverkehr beinhaltet eine Vielzahl an unterschiedlichen Gütern, die zum Teil auch täglich transportiert werden. Mit dem Transport von Paketen kann daher jetzt eine Bühne für weitere Güter geschaffen werden. Dazu zählen neben dem Transport von Paketen auch die Belieferung von Apotheken und gerade auch der Transport von Lebensmitteln. So werden zum Beispiel Bäckereien mehrmals täglich beliefert. Aber auch die Gastronomie muss regelmäßig mit Lebensmitteln beliefert werden. Dies Transporte verursachen steigenden Verkehr auf den teilweise knappen Straßenkapazitäten.
Sie lehren an der Frankfurt University of Applied Sciences. Ist die Idee der Paketlieferung dabei hin und wieder auch Gegenstand der Vorlesungen? Welchen Mehrwert ziehen Sie aus dem Diskurs mit den Studierenden?
Wir binden all unsere Forschungsthemen und –schwerpunkte in unsere Vorlesungen ein. Dadurch profitieren nicht nur die Studierenden, sondern auch wir. So entsteht ein sehr spannender Austausch und lebhafte Diskussionen zwischen Studierenden und Lehrenden, was zu neuen Impulsen auf beiden Seiten führt. Aktuell betreue ich eine Gruppe Studierender bei der Konzeption einer App für den urbanen Güterverkehr und bin wirklich begeistert welche neuen Ideen entstehen und freue mich auf das Endergebnis.
Wo müssen Wirtschaft und Politik ansetzen, um die urbane Mobilität den veränderten Anforderungen anzupassen?
Im urbanen Bereich ist es einerseits das Ziel Emissionen zu senken und andererseits auch Verkehr zu reduzieren. Wenn also Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden, kommt es immer noch zu Staus im Berufsverkehr. Daher sollte die Strategie vielschichtig und divers sein.
In erster Linie sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Veränderungen im Mobilitätsverhalten ermöglichen. So sind die Änderungen der StVO z.B. in Bezug auf das Überholen von Radfahrern, die kürzlich in Kraft getreten sind, sehr sinnvoll. Aber auch die Stärkung der Radinfrastruktur durch breitere Radwege oder Radschnellwege ist total sinnvoll und macht den Radverkehr sicherer. Natürlich braucht es auch Alternativen zum motorisierten Individualverkehr. Zum Umdenken bei den Nutzern führen dann Angebote wie Carsharing, Bikesharing und Scootersharing. Sie ermöglichen Personen auf ihren Wegen auch mehrere verschiedene Verkehrsmittel zu nutzen. Diverse Business-Modelle hierzu gibt es bereits.
Darüber hinaus kann aktuell auch beobachtet werden, dass der urbane Verkehr in Zeiten der Corona Pandemie sehr stark sinkt. So denke ich, dass Regelungen von Home-Office auch Auswirkungen auf die urbane Mobilität haben kann.
Wie stellen Sie sich die Zukunft der Mobilität vor? Was wird sich Ihrer Meinung nach definitiv verändern und was würden Sie sich wünschen, was sich verändert?
Aus meiner Sicht liegt aktuell der Fokus auf der Mobilität von Personen. Der Transport von Personen hat ein eigenes Konzept. So gibt es S-Bahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse, die wir nehmen können, um uns fortzubewegen. Das ist natürlich total wichtig, es ist ja schließlich der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Jedoch sollte der urbane Wirtschaftsverkehr auch entsprechend berücksichtigt und eingeplant werden. Menschen leben in immer größeren Städten und möchten sich dort nicht nur ungehindert bewegen können, sondern müssen auch entsprechend mit z.B. Lebensmitteln und vielen anderen Gütern versorgt werden. Dabei gehen wir fast wie selbstverständlich davon aus, dass der Supermarkt alle Produkte zur Verfügung stellt, die wir benötigen. Gleichzeitig vergessen wir allerdings auch, dass die Supermärkte dazu beliefert werden müssen. Genauso sieht es bei anderen gewerbetreibenden Unternehmen wie z.B. Restaurants aus. Sie müssen alle mit Produkten beliefert werden. Nicht zuletzt sollten hier natürlich auch die Paketlieferanten genannt werden. Ihr Arbeitsplatz ist die urbane Straßeninfrastruktur. Sie müssen täglich acht Stunden einen geeigneten Parkplatz finden, um unsere Sendungen zuzustellen. Das kann sehr herausfordernd werden. Ich wünsche mir, dass eben dieser urbane Wirtschaftsverkehr mehr Aufmerksamkeit erhält.