Frau von Berg, Frau Heger-Mehnert und Frau Erpenbeck, Sie haben während Ihrer Karriere viel aus der Welt der Mobilität lernen können. Woher kam Ihr Interesse, in der Mobilitätsbranche zu arbeiten? Was macht diese so faszinierend?
Anke Erpenbeck: Ich arbeite seit 10 Jahren in der Marketingabteilung der Kölner Verkehrs-Betriebe. Damals habe mich gar nicht bewusst für die Branche entschieden, sondern eher für den Job. Aber die Mobilitätsbranche hat mich wirklich gepackt: Derzeit kenne ich kaum eine andere Branche, in der so viel passiert. Diese Veränderungen mit gestalten zu können, macht für mich einen großen Reiz aus. Der ÖPNV spielt eine wesentliche Rolle in den Bemühungen für eine nachhaltige Gestaltung der Mobilität. Ich bin happy, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann, die KVB als DEN Mobilitätsdienstleister für Köln zu positionieren.
Coco Heger-Mehnert: Ich arbeite seit 15 Jahren beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr. Verbünde nehmen eine wichtige Scharnierrolle zwischen Politik und Verkehrsunternehmen ein. Wie bei Anke bin ich nicht bewusst in diese Branche gewechselt und hatte zu Beginn noch Zweifel, ob es zu mir passt. Was mich heute an diese Branche bindet, ist der Gedanke an etwas sehr Relevantem für die Gesellschaft mitzuarbeiten. Mobilität ist heute einer der wichtigsten Hebel in Sachen Klimawandel. Bei mir paart sich das zudem mit dem Thema Digitalisierung. Hier auszuloten wie diese Kommunikation, Information, Zugang und Tarifierung für ÖPNV optimieren kann, ist eine ausgesprochen spannende Aufgabenstellung.
Sophia von Berg: Während meines Studiums habe ich bei einem Automobilhersteller gearbeitet und das Projekt „CO2-Label für PKW“ geleitet. Schnell musste ich feststellen, dass die farbigen Balken, die jeder von seinem Kühlschrank kennt, wenig Aussagekraft über die CO2-Effizienz von PKW haben. Das hat mich nicht losgelassen und ich setzte mich daraufhin auch wissenschaftlich mit Verkehr und Nachhaltigkeit auseinander. Die Vielfalt an Fortbewegungsmitteln und Mobilitätsservices fasziniert mich dabei bis heute. Die Frage, wie wir aus diesem Möglichkeitenraum Lösungen für eine nachhaltige Mobilität schöpfen können, treibt mich an.
Mit Ihrem Netzwerk wollen Sie Frauen, egal aus welcher Sparte der Mobilitätsbranche stärken, daher interessiert uns: Wie hat das Ganze eigentlich angefangen? Woher kommt die Idee und wo sehen Sie die thematischen Schwerpunkte Ihres Netzwerkes? Warum ist ein solches Netzwerk so wichtig?
Sophia: Begonnen hat das Ganze auf einer Konferenz zum Thema Multimodalität. Ich habe mich wirklich geärgert, dass fast nur Männer anwesend waren – sowohl auf dem Podium als auch im Publikum. In den Pausen habe ich mich mit den wenigen Frauen unterhalten und das war so inspirierend! Alle arbeiteten an spannenden Themen, aber keine von ihnen wurde jemals gefragt, ob sie diese auch auf einer Konferenz präsentieren wollen. Wir waren uns einig, dass es mehr Gelegenheiten zum Austausch unter den Frauen geben sollte. Und so war die Idee zum Netzwerk geboren.
Coco: Ja, Sophia und ich kannten uns bereits von einigen Mobilitätsveranstaltungen und als wir uns über die Netzwerkidee unterhielten, waren wir uns schnell einig: Wir wollten das anpacken. Da ich Anke bereits vom Verkehrscamp her kannte und wusste, wie initiativbereit sie ist, habe ich sie direkt darauf angesprochen. Im Juni 2015 trafen wir drei uns in Düsseldorf, um die ersten Rahmenbedingungen festzulegen. Es war uns wichtig, dass es ein Netzwerk für Frauen aus allen Sparten der Mobilitätsbranche ist, denn nur durch die Verknüpfung der Sparten und den Austausch untereinander können wir darauf hinwirken, Mobilität nachhaltiger zu gestalten und die Städte den Menschen zurück zu geben.
Können Sie uns erklären, welche Strategie sie verfolgen, um Frauen in einer bisher eher “männerlastigen” Branche mehr zu fördern? Wie könnte man den Bereich Verkehr & Logistik für Frauen attraktiver machen?
Sophia: Ein besonderer Fokus liegt natürlich in der Sichtbarkeit der Frauen – dadurch, dass wir Frauen empowern, z.B. durch Speakerinnenvermittlungen, dass wir zeigen, wie viele inspirierende und fachlich versierte Frauen es in der Mobilitätsbranche gibt, können wir helfen, die Podien bei Events diverser zu besetzen und Frauen in den Fokus bei Stellenbesetzungen – vor allem bei Führungspositionen – zu rücken.
Anke: Die Mobilitätsbranche weist derzeit einen Anteil von 20-30% Frauen aus – je nachdem, in welcher Sparte man unterwegs ist. Der ÖPNV bspw. ist sehr männerlastig, vor allem in den technischen Bereichen. Das liegt zum einen daran, dass sich viel weniger Mädchen bei ihrer Berufswahl für einen technischen Beruf interessieren (z.B. für eine Ausbildung zur Mechatronikerin oder Industriemechanikerin) bzw. ein technisches Studium beginnen (z.B. Ingenieurwesen, Informatik oder Maschinenbau). Das liegt meiner Meinung nach sehr stark in den Rollenbildern begründet, mit denen schon die Kinder aufwachsen. Wann sieht man in Kinderbüchern bspw. mal eine Frau auf einer Baustelle, beim Programmieren am Computer oder beim Schweißen von Metall? Es fehlen oft einfach die Role Models, die Mädchen und jungen Frauen zeigen, dass solche Berufe genauso für sie geeignet sind wie die klassischen „Frauenberufe“ wie Krankenschwester oder Erzieherin. Daher versuchen wir, durch unsere Events und unsere Kommunikation in den sozialen Netzwerken, Frauen sichtbarer zu machen und allen zu zeigen, dass die Mobilitätsbranche eine tolle Branche ist, in der man als Frau sowohl einen spannenden Job finden als auch Karriere machen kann.
Coco: Derzeit ist die Mobilitätsbranche noch sehr technisch geprägt – bei Autos oder Zügen denkt man hauptsächlich an Männer, die diese konstruieren, bauen oder auch fahren. Neben der verstärkten Ausbildung von Frauen in technischen Berufen bedarf aber die Ausgestaltung von Mobilität heute einer Vielzahl von weiteren Skills, die Frauen einbringen können. Dazu zählen z. B. Wissen um Verkehrsmittelwahlverhalten, Gestaltung von Zugang zu Mobilitätsangeboten, Definition von Anforderungen auch an Lebensräume in Städten und daraus abzuleitende Mobilitätskonzepte, etc. Zudem müssen die Bedingungen in den Unternehmen für unterschiedliche Lebensphasen passen. Nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer: Es braucht Angebote für Jobsharing, Führen in Teilzeit, Betriebskindergärten, Home Office usw.
Neben einem digitalen Austausch bieten Sie zudem Networking-Events an und haben sogenannte Hubs bereits in Berlin, Hamburg, Köln, München, Nürnberg und Bern gegründet. Zudem veranstalten Sie den Women in Mobility Summit in Frankfurt am Main am 14. und 15. November, der einen Mix aus Fachkonferenz und interaktiven Elementen eines Barcamps darstellt. Ist Deutschland eigentlich einmalig mit einem solchen Netzwerk und Veranstaltungen für Frauen in der Mobilität bzw. planen sie eine Ausweitung des Netzwerkes ins Ausland – oder vielleicht auch in Frankfurt?
Sophia: Einmalig sind wir sicherlich nicht – es gibt bereits viele Mobilitätsnetzwerke für Frauen. In Deutschland bzw. Europa sind diese aber in der Regel auf eine Mobilitätssparte fokussiert. Für den WiM Summit haben wir auf jeden Fall ein einzigartiges Konzept entwickelt, denn dort stehen nur Frauen auf der Bühne, die eine spannende Story zu erzählen haben. Auf dem Summit wird es keine reinen Fachvorträge geben; die Frauen aus unterschiedlichsten Professionen schildern ihre Perspektive auf die Mobilitätswelt. Beispielsweise wird die ehemalige Vizebürgermeisterin von Wien, Maria Vassilakou, erzählen, wie es ist, eine der meistgehassten Menschen in Wien zu sein, weil sie in der österreichischen Hauptstadt den Autoverkehr zurück gedrängt und dafür massiv den ÖPNV und den Fahrradverkehr gefördert hat.
Coco: Eine Ausweitung des Netzwerks ist auf jeden Fall geplant – derzeit befindet sich ein Hub in Stuttgart im Aufbau und auch mit interessierten Frauen in Frankfurt und London führen wir schon Gespräche. Da wir das Netzwerk aber komplett ehrenamtlich betreuen, ist uns auch an einem langsamen, organischen Wachstum gelegen.
On-Demand-Shuttles, Elektroscooter und autonome Fahrzeuge, neue Mobilität hat jetzt auch Deutschland erreicht. Was sagen Sie zu diesen Veränderungen und wie können es Verkehrsunternehmen schaffen, ihre Produkte zu digitalisieren und an die Neuerungen anzupassen?
Anke: Dazu braucht es vor allem die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; Leute, die offen sind für Neues, die bewährte Dinge auch mal in Frage stellen, die ausprobieren, testen und auch mal scheitern. Es ist dabei aber wichtig, dass eine Fehlerkultur in den Unternehmen etabliert wird, dass es also okay ist, dass auch mal Dinge in die Hose gehen – wenn man daraus lernt und beim nächsten Projekt die Learnings auch anwendet. Ganz wichtig ist außerdem die Kommunikation, denn die Digitalisierung ruft bei vielen Mitarbeitern große Ängste hervor. Die Dinge ändern sich immer schneller und viele haben Angst, dabei auf der Strecke zu bleiben. Den Mitarbeitern diese Ängste zu nehmen, sie darauf vorzubereiten, dass neue Dinge auch große Chancen bieten, das ist das große Brett, was die Unternehmen zu bohren haben.
Sophia: Veränderung eröffnet Chancen. Aber nicht in direkter Übertragung auf die Straße, sondern zunächst im Kopf. Die Anteile am Modal Split für Carsharing und andere Mobilitätsdienstleistungen sind verschwindend gering; die Studienlage zur verkehrlichen Wirkung neuer Services eher ernüchternd. Trotzdem nehmen wir in der Presse und im eigenen sozialen Umfeld eine rege Diskussion, erste Interessensbekundungen oder sogar wahre Begeisterungswellen in Bezug auf die neuen Mobilitätsangebote wahr. Manchmal folgt ein Nachdenken über die eigenen Mobilitätsroutinen und teilweise sogar ein zaghaftes Umdenken. Diese thematische Omnipräsenz kann von Politik und Entscheidungsträgern genutzt werden, um auch unbequeme Maßnahmen durchzusetzen. Denn eine echte Wende mit verkehrlicher Wirkung bedeutet einerseits die massive Förderung nachhaltiger Mobilität (ÖV, Fahrrad, Fußverkehr) und andererseits spürbare Einschnitte in die Mobilitätsroutinen vieler Menschen, die heute das private Auto für alle Wege – auch im städtischen Raum – nutzen. Die ergänzende Vielfalt neuer Mobilitätsangebote macht nämlich dann besonders Sinn, wenn die Menschen auch darauf angewiesen sind.
Und zum Schluss noch eine Frage zur Mobilität: Wie stellen Sie sich die Zukunft der Mobilität vor? Was wird sich verändern und was würden Sie sich wünschen, was sich verändert?
Anke: Ich wünsche mir vor allem, dass die Städte wieder den Menschen gehören. Derzeit ist alles auf das Auto ausgerichtet. Ich finde bspw. dieses Superblock-Prinzip, das in Barcelona praktiziert wird, eine schöne Idee. Dabei werden meist neun Häuserblöcke zu einem sogenannten Superblock zusammengefasst. Anwohner und Lieferanten können in einen Superblock hinein fahren, der übrige Verkehr wird aber auf größeren Straßen um die Blöcke herum geleitet. Die frei gewordenen Flächen wie bspw. die ehemaligen Kreuzungen wurden in Spielplätze oder Fußballfelder umgewidmet. Statt großer Straßen werden bei den Superblöcken Fahrrad- und Fußwege ausgebaut. Dadurch fällt es den Anwohnern leichter, auf das eigene Auto zu verzichten.
Außerdem ist die Politik gefordert. Eine Abkehr von der autozentrierten Verkehrspolitik ist im Rahmen der aktuellen Klimadiskussion mehr als notwendig. Vor allem in den Städten muss mehr in den ÖPNV und in die Fahrradinfrastruktur investiert werden. Natürlich bringt dies Einschnitte für die Autofahrer mit sich. Aber die Städte stehen vor dem Verkehrskollaps, ein Umdenken ist zwingend notwendig. Städte wie Kopenhagen, Wien und Amsterdam machen es ja erfolgreich vor. Niemand braucht in einer großen Stadt wirklich ein Auto. Oft ist es Bequemlichkeit oder jahrelange Gewöhnung, die die Leute in ein Auto steigen lassen. Warum muss man denn die 800 m zum Bäcker mit dem Auto fahren? Oder die eigenen Kinder im SUV an der Schule absetzen?
Natürlich sieht es auf dem Land anders aus. Dort auf das Auto zu verzichten, ist schwer. Aber auch da wird die Digitalisierung helfen. On-Demand-Verkehre in autonomen Fahrzeugen sind zwar heute noch Zukunftsmusik, aber warum sollen sich nicht in 10 oder 20 Jahren auf dem Land die Menschen von einem autonomen Fahrzeug abholen lassen, das auf dem Weg zum Ziel noch zwei, drei Mitfahrende einsammelt? Viele Menschen fahren derzeit einfach Auto, weil sie bspw. nicht mit dem ÖPNV zu ihrer Arbeitsstelle kommen. Aber dass die Mehrzahl der Leute wirklich gerne selbst hinter dem Lenkrad sitzen will, wage ich zu bezweifeln.
Coco: Neben den Vorstellungen, die Anke bereits geäußert hat, wünsche ich mir zudem ein neues Denken, wie Stadtraum so gestaltet werden kann, dass den Bürgern Raum zurückgegeben werden kann. Zudem ist es denkbar, dass der Trend der Urbanisierung durch Belastung der Städte durch den Klimawandel auch wieder kippt und Nebenzentren und der rurale Raum wieder eine ganz andere Bedeutung erlangen. Daher sind solche Entwicklungen bei Mobilitätskonzepten mitzudenken. Mein dringlichster Wunsch ist eine von allen getragene langfristige Vision für die Ausgestaltung von Mobilität, die nicht von parteipolitischen Ränkespielen und anstehenden Wahlen immer wieder in Frage gestellt wird. Die Situation erfordert eine klare Orientierung an Expertenratschlägen, eine stärkere Partizipation der Bürger und eine Ordnungspolitik, die auch neuen Konzepten Raum gibt.
Sophia: Anke und Coco haben dieses Zukunftsbild gerade für mich mitgezeichnet. Wobei ich noch eines hinzufügen möchte: Die Zukunft einer nachhaltigen, d.h. ökologisch verträglichen, ökonomisch effizienten und menschengerechten Mobilität ist JETZT. Auf Diskussionen über die Zukunft müssen auch konsequente Entscheidungen und verbindliche Umsetzungen folgen!
Titelbild: © Angelika Zinzow www.angelikazinzow.de