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16. Nov 2022
/ Germany
NACHGEFRAGT bei Dr. Dirk Rothenstein
Seit 2021 setzt die S-Bahn Stuttgart auf einen flexiblen Schienenersatzverkehr (SEV) auf Abruf, unter anderem wenn die Stammstrecke der S-Bahn modernisiert wird. Möglich macht das die On-Demand-Software von ioki. ioki insights sprach mit Dr. Dirk Rothenstein, Vorsitzender der Geschäftsleitung der S-Bahn Stuttgart, über die Modernisierung der Schieneninfrastruktur, multimodale Mobilität in der Stadt und Schienenersatzverkehr auf Abruf.

ioki insights 
Die Modernisierung der Schieneninfrastruktur ist ein essenzieller Baustein auf dem Weg zu einer zukunftsweisenden und nachhaltigen Mobilität. Was bedeutet das für den Schienenersatzverkehr (SEV)? 

Dr. Dirk Rothenstein
Mit dem digitalen Schienenknoten in Stuttgart werden die Bahnkundinnen und Bahnkunden von einem verbesserten Zugangebot im Fern- sowie Regionalverkehr und von einem ausgeweiteten Angebot bei der S-Bahn profitieren. Neben der Digitalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) müssen wir ein umfangreiches Modernisierungsprogramm für ein zuverlässigeres S-Bahn-Netz bewältigen. Wir werden deshalb in den nächsten Jahren vermehrt Bautätigkeiten in Stuttgart erleben und erleben es heute schon. In der Konsequenz bedeutet es, dass wir das gewohnte Leistungsspektrum der S-Bahn nicht mehr fahren können. Damit wir in der langfristigen Perspektive ein besseres Angebot bieten können, müssen die Fahrgäste an vielen Tagen auf einen Schienenersatzverkehr umsteigen. Der Schienenersatzverkehr gewinnt im Mobilitätsalltag an Bedeutung, weil wir für Fahrgäste einfach häufiger Busse statt Züge einsetzen.  


ioki insights 
In Stuttgart entsteht der erste digitale Bahnknoten in Deutschland. Was bedeutet das für die multimodale Mobilität in der Stadt und auch für den SEV? 

Dr. Dirk Rothenstein 
Wenn wir die Infrastruktur in Stuttgart auf eine moderne Ebene heben, dann sollte der Komfort und Service für die Fahrgäste dem Schritt halten. Für uns ist das Ansporn, auch den ÖPNV abseits der Schiene zu digitalisieren. Die Digitalisierung des klassischen SEV ist dabei ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine neue, digitale Mobilitätswelt. Das kann aus unserer Sicht auch für andere Regionen ein Vorbild sein. 


ioki insights
Warum hat man sich für einen SEV auf Abruf entschieden? Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile dieses digitalen Angebots? 
 


Dr. Dirk Rothenstein
Der „SEV On-Demand“, wie wir ihn nennen, ist aus meiner Sicht eine klassische Win-Win-Win-Situation. Zum einen wird der Fahrgast durch den SEV auf Abruf viel unabhängiger von der Leistungserbringung der S-Bahn Stuttgart. Ein Beispiel: Wenn die S-Bahn Stuttgart wegen einer Baustelle später am Endbahnhof ankommt, ist häufig der klassische SEV-Bus bereits abgefahren. Mit dem On-Demand Verkehr hat der Fahrgast die Sicherheit, dass der Bus wartet und ihn zum Zielort bringt. Sprich, er ist flexibler.  

Wir als Unternehmen haben zudem den Vorteil, dass wir den SEV Ressourcen schonender einsetzen und planen können. Wir müssen nicht mehr alle 30 min einen Bus fahren lassen, der in den Nachtstunden oder auch am Wochenende vielleicht nur wenig besetzt ist. Stattdessen können wir mit On-Demand-Bussen sehr zielgerichtet unterwegs sein, können auch kleinere Shuttles je nach Bedarf einsetzen. So vermeiden wir Leerfahrten, sparen Ressourcen und schonen die Umwelt. Damit gewinnen alle Seiten durch den Ersatzverkehr On-Demand.


ioki insights 
Wie verlief die Zusammenarbeit mit anderen Verkehrsträgern und dem Ministerium?  
 


Dr. Dirk Rothenstein
Wir haben den SEV On-Demand im Jahr 2021 zum ersten Mal im Rahmen unserer Stammstreckensperrung eingeführt und 2022 erneut eingesetzt. Wir arbeiten seitdem regelmäßig mit allen Partnern zusammen, um den SEV On-Demand beispielsweise bei klassischen Baustellen einzusetzen. 

Dafür arbeiten wir mit ioki zusammen, mit DB Regio Bus, mit der Stadtverwaltung der Stadt Stuttgart, mit den Landratsämtern in den Landkreisen, aber auch mit unserem Besteller. Das funktioniert bislang hervorragend. Angebot und Zusammenarbeit funktionieren so gut, dass unser Besteller, der Verband Region Stuttgart, Interesse daran zeigt, SEV auf Abruf noch viel häufiger bei klassischen Baustellen einzusetzen.


ioki insights 

Wie kann man den meist etwas stiefmütterlich betrachteten SEV für Kunden und Fahrgäste attraktiver machen?  

Dr. Dirk Rothenstein 

Aus unserer Sicht, indem wir mehr Kundennutzen generieren. Das bietet der SEV On-Demand, weil der Fahrgast ihn in der Reisekette flexibel nutzen kann. Der Fahrgast kann zu jeder Zeit mit einem Bus weiterfahren. Wir bieten den SEV On-Demand teilweise von Haltestelle zu Haltestelle an und teilweise in einem Korridor entlang der S-Bahn-Strecke. Dazu richten wir zum Teil auch virtuelle Haltestellen ein, die Fußwege für Fahrgäste verkürzen. Das bringt alles zusätzlichen Nutzen für die Fahrgäste, wenn sie schon auf die S-Bahn verzichten müssen. 


ioki insights 
Wie aufwändig ist diese Form von SEV? Wie können wir mit einem digitalisierten SEV Ressourcen einsparen?

Dr. Dirk Rothenstein
Ehrlich gesagt, finde ich es gar nicht so aufwändig einen SEV On-Demand zu installieren. Natürlich war am Anfang Überzeugungsarbeit notwendig, auch bei unserem Besteller. Man konnte es sich nicht richtig vorstellen. Mit ioki und Mobimeo haben wir zwei starke Technologiepartner an unserer Seite: Sie haben es sehr schnell geschafft, das komplexe On-Demand-System von ioki in unsere Stuttgart Mobility App zu integrieren. Für die Fahrgäste bietet das einen echten Mehrwert, weil sie alles in einer App machen können: über die Abfahrtszeiten der S-Bahn informieren, Tickets kaufen oder eben den On-Demand-Verkehr buchen. Und wir hatten mit DB RegioBus einen Partner, der Fahrzeuge samt Fahrpersonal stellen konnte. Insofern hat das wunderbar funktioniert und jetzt sind wir sehr glücklich darüber, dass wir das Angebot bei vielen Baustellen erfolgreich einsetzen können. 

ioki insights
Wo wollen Sie mit dem Thema Digitalisierung Ihrer (Ersatz-)Verkehre noch hin? Sind weitere SEV auf Abruf geplant? Inwiefern ist SEV auf Abruf für andere Fälle geeignet?

Dr. Dirk Rothenstein
Wir forcieren gerade den SEV On-Demand stärker bei klassischen Baustellen einzusetzen. Das funktioniert aus unserer Erfahrung besonders gut in Tagesrandlagen. In den kommenden Jahren werden wir immer wieder die Stammstrecke sperren müssen – dann kommt der SEV auf Abruf zum Einsatz. Unsere langfristige Vision geht sogar noch weiter.  

Wir wollen den Busnotverkehr im Störungsfall ad hoc mit On-Demand-Ersatzverkehr bedienen können. Der Fahrgast erhält schneller eine Alternative zum geplanten öffentlichen Verkehrsmittel. Dazu ist es wichtig, dass wir in der Region, insbesondere zur Überbrückung der ersten und letzten Meile, viel mehr On-Demand-Verkehre bekommen. Und alles wollen wir über unsere Stuttgart Mobility App bündeln und aufeinander abstimmen. So können wir für Kunden und Fahrgäste im Sinne einer multimodalen Mobilität als führender Ansprechpartner für den ÖPNV in der Region auftreten. 

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Nachgefragt bei Milena Akemann

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Milena ist als Technical Product Managerin im Mobility Analytics & Consulting Team tätigt. Zu ioki ist sie über ein Praktikum im Anschluss an ihr Mathematikstudium gekommen. Als Mathematikerin hat sie eine Leidenschaft für alles rund um das Thema Optimierung und es war ihr wichtig, ihre Fähigkeiten zukunftsgestaltend einzusetzen. Über ein Seminar an der Uni zum Thema mathematische Verkehrsplanung hat sie dann die Mobilität für sich entdeckt.