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26. Jul 2019
/ Deutschland
NACHGEFRAGT bei Katja Diehl
Katja Diehl ist neben ihren Tätigkeiten als Kommunikations- und Unternehmensberaterin auch als Mobility “Influencerin” und Netzwerkprofi unterwegs.

So gründete sie beispielsweise für das Netzwerk “Women in Mobility” den Hub in Hamburg. Gleichzeitig treibt sie als Lead für PR & Communications die Positionierung des Berliner Start Ups door2door voran. Diehl ist bestens informiert in Sachen neue Mobilitätsformen, neues Arbeiten und Diversität.

Einblicke in ihre persönlichen Ansichten erhält man über ihren Blog, Social Media Kanäle sowie über ihren Podcast “#SheDrivesMobility”.

Erst vor kurzem wurden Sie zur “Woman of the Week” von Global Digital Women gewählt, gründete den Hub in Hamburg für die “Women in Mobility” und veröffentlichen regelmäßig Podcasts zu den Themen neue Mobilitätsformen, Diversität und neue Arbeitsformen. Sie sind eine echte “Mobilitätsinfluencerin” – deshalb interessiert uns:

Was beeinflusste Sie bzw. woher genau kommt Ihr Interesse am Thema Mobilität?

Wenn ich das wüsste! Manchmal ist es wirklich hart, dieses Interesse zu haben, weil sich in den über 15 Jahren, die ich nun schon in der Branche tätig bin, scheinbar nicht viel getan hat. Aber: Ich BRENNE für den Wandel in unserer Branche! Ein Leben ohne Mobilität ist unmöglich, unsere Alltagsmobilität in Deutschland ist aktuell jedoch enorm vom Verbrenner-PKW dominiert. Wir bewegen uns analog und ineffizient: 45 Minuten am Tag, allein, im Auto. DAS will ich ändern. Dafür müssen wir Mangel beseitigen: An Diversität, an Angeboten, an Finanzierung, an Bevorzugung nachhaltiger Mobilitätsformen, an digitalen Produkten, die ansonsten schon in jedem Lebensbereich vorhanden sind. Aber auch der ländliche Raum ist für mich spannend. Hier sind aktuell noch keine Lösungen etabliert, die das Auto obsolet machen – diese vielen Menschen müssen wir auch mitnehmen.

Sie leben in Hamburg und arbeiten in Berlin, dadurch sind Sie viel unterwegs. Gerade diese beiden Städte gehören zu den Top Ten Stau Hauptstädten in Deutschland.

Wie erleben Sie das Pendeln zwischen den beiden Städten? Wie sieht ihr täglicher Arbeitsweg aus und was nervt Sie daran am meisten?

Ich habe einen deutlichen Vorteil: Über die ICE-Strecke sind Hamburg und Berlin enorm gut angebunden. Wie die DB so schön sagt: Die Zeit gehört mir. Ich schlafe, lese, arbeite – je nach Tageszeit und –form. Echter Luxus, weil ich mich um nichts kümmern muss. Ich habe noch nie ein privates Auto besessen. Daher ärgere ich mich zunehmend, wieviel Raum ich in meiner Stadt abgeben, wieviel Abgase und Gummiabrieb ich einatmen, wieviel Lärm ich ertragen muss – das ist für mich keine Lebensqualität. Mich nervt aber auch, in den Zug einzusteigen und sofort zu hören, was bei der Bahn alles schiefläuft. Mir ist das zu einfach. In das System wird bis heute nicht annähernd so viel investiert wie in den Straßenbau. Mobilität erreichen wir nur, wenn wir Verkehr intelligent steuern – dazu gehört auch, die Systeme von Nah- und Fernverkehr zu transformieren und zu stärken.

Mittlerweile gibt es viele verschiedene Angebote und Möglichkeiten, um mit dem ÖPNV von A nach B zu kommen.

Inwiefern sind Ihrer Meinung nach neue Mobilitätsangebote, wie beispielsweise Ridepooling, Ridesharing, Ridehailing oder Elektroscooter in Städten und auf dem Land sinnvoll?

Alles ist sinnvoll, was eine Alternative zur heutigen Autonutzung darstellt. Wenn in jedem Auto zwei Menschen sitzen, wäre der Verkehr schon halbiert. Irre – oder? Dennoch warne ich davor, nur in Produkten zu denken. Umfragen ergeben, dass Kunden nicht unzählige Apps installieren wollen, um ihre Mobilität zu gestalten. Ich mag das „Spotify-Bild“, dass Dr. Tom Kirschbaum von door2door benutzt, um die Vision zu zeichnen: Eine Plattform, die alle verfügbare Mobilität anzeigt und aufgrund des bisherigen Verhaltens den Nutzer ggf. auch „anstubst“, mal anders unterwegs zu sein. Durch preisliche oder zeitliche Vorteile, die er zuvor vielleicht gar nicht im Blick hatte. Da gehören Ridepooling-Angebote tief integriert in die Angebote von Verkehrsunternehmen, denn die sind die lokalen und etablierten Champions der Branche. Städte und Landkreise müssen zudem die Chance wahrnehmen, mit den neuen Ideen und Produkten, die vor allem StartUps haben, ihre regionale Mobilität aktiv zu gestalten und zu attraktivieren. Hier bedarf es neuer Fähigkeiten und vor allem auch des Mutes, damit anzufangen, erstmal zu probieren, zu lernen und dann weiter auszubauen.

Was machen andere Länder besser als Deutschland, wenn es um neue Mobilität geht?

Andere Länder haben früher mit dem Wandel angefangen – darin waren sie besser. In den Niederlanden und skandinavischen Ländern, aber vor allem auch in Städten wie Amsterdam und Kopenhagen ist es Unsinn, mit dem Auto zu fahren. Hier ist die Infrastruktur seit den Siebzigern deutlich darauf ausgelegt worden, nicht das Auto, sondern nachhaltige Mobilität zu stärken. Sicher auch wegen einer fehlenden Autoindustrie, die bei uns in Deutschland eine wichtige wirtschaftliche Rolle einnimmt. In manch asiatischem Land, wo es hervorragende Zugverbindungen gibt, wird der immer wieder zitierte Vorbildcharakter für mich durch die politischen Systeme, die diesen ermöglichen, geschmälert. Der Preis wäre mir dann doch zu hoch. Deutschland ist gut darin, sich schlecht zu machen. Aber ich bin froh, dass wir behutsamer mit grundlegenden Änderungen umgehen. Und so „Uber-Szenarien“ wie in den USA vermeiden, wo Manhattan jetzt doch wieder regulieren muss, weil der Verkehrsfluss durch zigtausende zusätzlicher PKW noch mehr ins Stocken statt in den Fluss geriet. Und wo Arbeitsbedingungen herrschen, die unmenschlich sind. Mobilität ist ein hohes Gut, es muss bezahlbar, sozialverträglich und nachhaltig gestaltet werden. Hier haben wir Jahrzehnte in das Auto und seine Infrastruktur investiert, das gilt es nun umzuwidmen.

Vor welchen Herausforderungen steht der ÖPNV? Wie ist es möglich Autopendler vom Umstieg zum ÖPNV zu überzeugen?

Zuckerbrot und Peitsche. Ein besseres Angebot, aber auch das unbequem Machen von privaten PKW-Fahrten. Natürlich ist gerade der letzte Part hoch emotional und ein Stück weit auch ein Abschied von deutscher Identität. Nicht umsonst werden immer wieder die Begriffe „Schlüsselindustrie“ und die daran hängenden Arbeitsplätze ins Feld gebracht, wenn es um den Mobilitätswandel jenseits des privaten PKW geht. Aber anders wird es nicht funktionieren. Ein Fahrzeug, das ein Stehzeug ist, muss effizienter genutzt werden und den Platz, den es heute erhält, zurückgeben an die Menschen, die im urbanen Raum leben. Da in der Frage speziell auf Autopendler abgezielt wird: Hier sind es vor allem Konzepte, die eine echte Alternative darstellen müssen. Denn wer heute im ländlichen Raum wohnt, hat kaum Chance, auf ein Auto zu verzichten. Ich sehe hier echte Veränderungskraft in der Digitalisierung des öffentlichen Nahverkehrs, hin zu On-Demand-Mobilität, digitalisierten „Anrufsammeltaxen“. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den wir aber jetzt beginnen müssen.

Wie sieht Ihr persönlicher Wunsch für die Mobilität der Zukunft aus?

Das wiederum ist ganz einfach: Die Zukunft der Mobilität hat bereits begonnen, weil an der Zukunft immer schon HEUTE gearbeitet werden muss. Mobilität muss bezahlbar, mit sozialen Standards versehen und messbar an der Mobilität von Menschen ausgerichtet sein, für die heute mobil sein immer das Auto bedeutet – also Menschen auf dem Land, Menschen mit Einschränkungen, Menschen mit geringem Einkommen, Kinder. Und rein technisch betrachtet ist für mich die Mobilität der Zukunft geteilt, elektrisch und kundenzentriert.

In Hamburg gründeten Sie den Hub für “Women in Mobility” und schafften damit einen Ort, wo sich Frauen aus der Mobilitätsbranche versammeln können und gemeinsame Lösungen erarbeiten. Für Ihren Podcast #SheDrivesMobility interviewen Sie auch interessante Frauen aus der Branche und beleuchten kritische Seiten der Mobilität.

Warum braucht Deutschland mehr Frauen (in Führungspositionen) in der Mobilität?

Frauen haben in unserer Branche aktuell weniger als 20 Prozent Anteil an Führung. Dabei sind Frauen mindestens genauso gut ausgebildet wie Männer. Frauen und Männer ergänzen sich, triggern im Diskurs neue Ideen. Frauen sind aufgrund der bisherigen Geschlechterrollen, die sich natürlich auch verändern müssen, multimodal unterwegs und leben damit das vor, was wir als Vision für unsere Mobilität sehen sollten: Unterschiedliche Produkte für unterschiedliche Bedarfe, alle jedoch geeint durch ein ganzheitlich gedachtes Konzept. Mal ist die Sicherheit im Vordergrund, wenn das Kind in den Kindergarten gebracht wird, dann wieder Zuverlässigkeit, weil es zu einem Meeting geht, dann wieder Transport, wenn Einkäufe gemacht werden. Mein Anspruch an die „Mobility as a Service“-Debatte ist, genau das abzudecken: Die Mobilität einer berufstätigen Mutter. Und zwar smart und ohne das Gefühl von Kompromiss. Um diese Blickwinkel in Produkte zu bringen, um kundenzentriert in alle Richtungen zu denken, bedarf es vieler Ideen, die nachweislich nicht aus homogenen Teams kommen können.

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